Wie sicher sind Erythropoese-stimulierende Arzneistoffe bei Chemotherapie-induzierter Anämie?


Prof. Dr. med. Peter Vaupel, München Prof. Dr. med. M. R. Nowrousian, Durbach

In Ausgabe 3/2010 der MMP [1] wurde in der Rubrik „Referiert und kommentiert“ eine Metaanalyse von Bohlius et al. [2] besprochen und das Fazit gezogen, dass die Hinweise auf eine erhöhte Mortalität von Krebspatienten unter Erythropoese-stimulierenden Arzneistoffen bestätigt werden. Da diese Schlussfolgerung durch die aktuelle Datenlage nicht gestützt wird und zu einer Verunsicherung der Leser, insbesondere der Anämiepatienten beitragen kann, sollte an dieser Stelle der derzeitige Kenntnisstand nochmals zusammen gefasst werden.

Seit der Einführung des rekombinanten humanen Erythropoetins und später auch seiner gentechnisch hergestellten Variante Darbepoetin in die Behandlung der Chemotherapie-induzierten Anämie hat sich eine große Zahl klinischer Studien mit der Effizienz und der Sicherheit dieser Arzneistoffe beschäftigt [3, 4]. Die Ergebnisse dieser Studien zeigen, dass mit Erythropoese-stimulierenden Arzneistoffen die Chemotherapie-induzierte Anämie erfolgreich behandelt werden kann (signifikante und anhaltende Anhebung der Hämoglobin-[Hb-]Konzentration, signifikante Reduktion von Bluttransfusionen sowie erhebliche Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, der kognitiven Funktionen, der Fatigue und der Lebensqualität der Patienten).

Eine sich im Wesentlichen in Metaanalysen widerspiegelnde Nebenwirkung ist ein größeres Risiko thromboembolischer Ereignisse mit einem Risikofaktor von 1,57 bis 1,68. Der relative Anteil thromboembolischer Ereignisse liegt bei der Behandlung mit Erythropoese-stimulierenden Arzneistoffen bei 5 bis 7,5% verglichen mit 3 bis 4% ohne Erythropoese-stimulierende Arzneistoffe. Das Risiko thromboembolischer Ereignisse scheint vor allem bei Hb-Konzentrationen >13 g/dl zu steigen.

Ob die Behandlung mit Erythropoese-stimulierenden Arzneistoffen einen Einfluss auf das Überleben der Patienten hat, ist kontrovers. Im Gegensatz zu der Mehrzahl der Studien, die keinen oder einen positiven Effekt zeigen, haben einige neuere Untersuchungen zu einem negativen Ergebnis geführt. Allen Studien gemeinsam ist jedoch, dass nur Fragestellungen außerhalb der zugelassenen Indikation für die Anwendung von Erythropoese-stimulierenden Arzneistoffen bei Patienten mit malignen Erkrankungen untersucht wurden (z.B. bei Patienten ohne Anämie oder bei Patienten ohne jegliche antitumorale Behandlung). Zudem lagen in allen Studien die Ziel-Hb-Werte über 13 g/dl. Weiterhin sind die Untersuchungen teilweise mit erheblichen methodischen Problemen behaftet, insbesondere asymmetrische Verteilungen von Patienten der Verum-Gruppen und Kontrollpatienten hinsichtlich der krankheits- und therapiebezogenen Risikofaktoren, die das Überleben (mit-)bestimmen [3, 4].

Die durchgeführten Metaanalysen der klinischen Studien mit Erythropoese-stimulierenden Arzneistoffen sind ebenfalls oft problematisch, da sie heterogene Patientengruppen mit unterschiedlichen Risikofaktoren und Verläufen zusammenschließen (z.B. Patienten mit und ohne Anämie und solche ohne jegliche antitumorale Behandlung, Chemotherapie oder Radiotherapie [2]). Die Metaanalysen, die sich speziell mit Studien bei Patienten mit Chemotherapie-induzierter Anämie als die alleinig zugelassene Indikation für Erythropoese-stimulierende Arzneistoffe beschäftigt haben, zeigen keine signifikanten Effekte dieser Arzneistoffe auf das Überleben der Patienten, auch nicht, wenn die genannten problematischen Studien mit einbezogen wurden (z.B. die Metaanalyse von Bohlius et al. [2] oder die kürzlich erschienene Metaanalyse von Glaspy et al. [5]). Es gibt einzelne Meta-analysen, die sogar einen Trend zu einer signifikanten Reduktion des Risikos einer schnellen Tumorprogression zugunsten der Therapie mit Erythropoese-stimulierenden Arzneistoffen erkennen lassen.

Außerdem zeigen die Ergebnisse von kürzlich publizierten und auf die Frage des Überlebens angelegten, prospektiven, randomisierten Studien bei unterschiedlichen Tumorerkrankungen (wie Mamma- und Bronchialkarzinom oder Morbus Hodgkin) keine negativen Effekte von Erythropoese-stimulierenden Arzneistoffen auf das Überleben der Patienten bei der Behandlung der Chemotherapie-induzierten Anämie.

Zusammenfassend lassen die Ergebnisse dieser statistisch und klinisch fundierten Studien erkennen, dass es sich bei Erythropoese-stimulierenden Arzneistoffen um relativ sichere Arzneistoffe handelt, wenn sie im Rahmen der zugelassenen Indikation und nach den geltenden Leitlinien angewendet werden. Entscheidend ist, dass ausschließlich Patienten mit Chemotherapie-induzierter Anämie behandelt werden. Die Interventions- und Ziel-Hb-Werte sollten dabei nicht über 10 beziehungsweise 12 g/dl liegen.

Literatur

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