Rika Rausch
Unter einem Pseudonym beschreibt „Mh47“ seine letzte Trip-Erfahrung in einem Webforum [7]: „Sofort bekam ich einen starken Tunnelblick und nahm alle Geräusche so wahr, als ob sie aus weiter Ferne kommen würden …“ Psychoaktive Substanzen, mit denen man die Wahrnehmung beeinflussen kann, sind heutzutage leicht zu beschaffen – zum Beispiel in der nächsten Apotheke. Im Internet herrscht unter Konsum-Willigen ein lebhafter Austausch darüber, welche rezeptfreien Arzneimittel sich für ein Rauscherlebnis eignen. Die Einnahme von 200 mg Diphenhydramin soll zu Halluzinationen von Insekten führen. Für Dextromethorphan gibt es sogar einen Rechner, mit dem man online die Dosis für das gewünschte „Plateau“ (1.–4.) anhand des Körpergewichts berechnen kann [6]. Nachdem man im fortgeschrittenen Stadium „Gott begegnet“, beantwortet der Verfasser der Seite auch die sich aufdrängende Frage, was nach dem 4. Plateau noch kommen kann: „Intensivstation, Gummizelle oder Grab.“
Dem pharmazeutischen Personal obliegt die Aufgabe, einen Kunden mit Reizhusten von einem Kunden mit missbräuchlichen Absichten zu unterscheiden und bei begründetem Verdacht auf Missbrauch die Abgabe zu verweigern (§17 ApBetrO) [4]. Im Fall von Arzneimitteln zur Selbstmedikation stellen Apotheken die einzige Sicherungsfunktion dar. Der zunehmende Missbrauch von Loperamid in Kombination mit Chinin veranlasste die Politik bereits dazu, die Barriere zu erhöhen und Chinin ab dem 1. April 2015 unter die Verschreibungspflicht zu stellen [8].
Argwöhnisch sollte der Apotheker ebenfalls werden, wenn der Kunde mehrere Packungen Pseudoephedrin-haltiger Präparate verlangt. Das Stimulans wird als Ausgangsstoff für die Herstellung von Methamphetamin verwendet [5], das bereits im zweiten Weltkrieg als Mittel zur Steigerung der Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit bei Soldaten eingesetzt wurde und heutzutage in Deutschland als verkehrsfähiges, aber nicht verschreibungsfähiges Betäubungsmittel gelistet ist. Unter dem Namen Crystal Meth wird es in der Drogenszene als Aufputschmittel konsumiert – mit tödlichen Folgen. Derzeit wird in den USA eine neue Formulierung (Nexafed®) entwickelt, bei der Pseudoephedrin in eine Polymer-Matrix eingebettet ist, wodurch eine Extraktion und Umwandlung erschwert wird [1].
Doch die Fantasie kennt keine Grenzen: Ständig tauchen neue psychoaktive Substanzen auf, die chemisch nur wenig modifiziert sind und durch eine Gesetzeslücke als „legal“ gelten. Nachdem der Europäische Gerichtshof im Juli 2014 entschieden hat, dass die neuen Drogen nicht unter den Arzneimittelbegriff fallen, kann der Handel mit ihnen nicht mehr als illegaler Verkauf bedenklicher Arzneimittel geahndet werden; momentan bleibt da nur die schrittweise Aufnahme in die Anlagen I und II des Betäubungsmittelgesetzes. Der Wettlauf gegen eine Flut von neuen Substanzen in der Szene könnte mit einer Stoffgruppenstrafbarkeit gewonnen werden [2].
In dieser Ausgabe erläutert der in der Rechtsmedizin tätige Apotheker Dr. Andreas Ewald die Schwierigkeiten bei der Charakterisierung neuer Drogen (S. 87). Auf die Folgen des Konsums psychoaktiver Substanzen bzw. die Notfallmaßnahmen bei Intoxikation geht anschließend Peter Flüchter, Arzt am Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg, ein (S. 94).
Was glauben Sie, hat „Mh47“ eingenommen: Methamphetamin? Cannabinoide? Es war nichts Anderes als eine Überdosis Coffein durch einen Mischkonsum von Kaffee, Cola und Energy Drinks. Ein fragwürdiger Trend lässt nun sogar den morgendlichen Filterkaffee zum Kick werden: „Bulletproof Coffee“ ist Kaffee mit Öl und Butter versetzt [3]. Der Energieschub und das Sättigungsgefühl sind allerdings wohl weniger auf das enthaltene Alkaloid als vielmehr auf den Energiegehalt von 600 Kalorien pro Tasse zurückzuführen.
Literatur
Ihre Zugangsdaten
Sie haben noch keine Zugangsdaten, sind aber MMP-Abonnent?
Registrieren Sie sich jetzt:
Nach erfolgreicher Registrierung können Sie sich mit Ihrer E-Mail Adresse und Ihrem gewählten Passwort anmelden.