Prof. Dr. Susanne Alban, Kiel
Thromboembolische Erkrankungen gehören mit Herzinfarkt, Schlaganfall und Lungenembolie zu den häufigsten Todesursachen in der westlichen Welt und Antikoagulanzien daher zu den lebensrettenden Arzneimitteln. Während sich die Optionen für die kurz- und mittelfristige Antikoagulation schrittweise weiterentwickelt haben, gab es für die Langzeitanwendung lange nichts anderes als die Vitamin-K-Antagonisten (VKA). Phenprocoumon (Marcumar®) und Warfarin (Coumadin®) sind zweifelsohne sehr wirksam, ihre Anwendung ist jedoch mit vielfältigen Nachteilen behaftet, sodass man seit Jahrzehnten nach Alternativen sucht.
2008 haben dann endlich zwei orale Antikoagulanzien die Zulassungshürde geschafft, nämlich der direkte Thrombin-Inhibitor (DTI) Dabigatranetexilat (Pradaxa®) und der erste direkte Faktor-Xa-Inhibitor (DXI) Rivaroxaban (Xarelto®); 2011 folgte der DXI Apixaban (Eliquis®) und im Juni 2015 wurde der dritte DXI Edoxaban (Lixiana®) zugelassen. Basis für die Zulassung dieser sogenannten NOAK (neue oder nicht-VKA orale Antikoagulanzien) war das umfangreichste Studienprogramm, das jemals für neue Arzneimittel aufgelegt wurde.
Die völlig andere Pharmakologie der NOAK bedingt einige Veränderungen für die Praxis der Antikoagulation. Dies erfordert ein Umdenken, was offensichtlich in einigen Punkten nach mehr als einem halben Jahrhundert routinierter „Markumarisierung“ Schwierigkeiten bereitet. So entfällt beispielsweise infolge der direkten Thrombin- bzw Faktor-Xa-Hemmung sowie des schnellen An- und Abflutens der Wirkung die Notwendigkeit der gleichzeitigen parenteralen Antikoagulation zu Beginn der Therapie ebenso wie die des „Bridging“ mit niedermoleklarem Heparin, wenn die Antikoagulation wegen einer Intervention unterbrochen werden muss. Die NOAK zeigen verlässliche Dosis-Wirkungs-Beziehungen, weil ihre Wirkung direkt am Target erfolgt und nicht, wie im Fall der VKA, von zahlreichen Parametern (z.B. genetischen Faktoren, Vitamin-K-Status, akuten Erkrankungen, vielfältigen Arznei- und Nahrungsmittelinteraktionen) beeinflusst wird. Den Phase-II-Studien zufolge verfügen sie außerdem über ein breiteres therapeutisches Fenster als die VKA. Daher muss die Dosierung nicht individuell eingestellt und regelmäßig kontrolliert und angepasst werden, sondern erlaubt die Anwendung von Fixdosis-Regimen. Demzufolge ist auch kein Routinemonitoring erforderlich, wobei aber ein Monitoring in manchen Fällen (z.B. vor einer Operation oder im Falle eines Schlaganfalls) durchaus sinnvoll und inzwischen auch möglich ist.
In der Anwendung sind die NOAK also insgesamt bequemer und einfacher als die VKA, erfordern aber aufgrund ihrer Wirkkinetik eine strikte Adhärenz des Patienten (Beratung!). Zudem handelt es sich um Arzneimittel, die wie die VKA per se das Blutungsrisiko erhöhen. Es ist daher extrem wichtig, dass sie korrekt, d.h. entsprechend dem jeweiligen Stand der Erkenntnis (aktuelle Fachinformation) angewendet werden. Dies betrifft zunächst die Wahl der adäquaten Dosierung, zugegebenermaßen eine gewisse Herausforderung gegenüber der „personalisierten“ Anwendung der VKA. Des Weiteren zu berücksichtigen sind einige pharmakokinetische, vor allem aber pharmakodynamische Interaktionen (u.a. Plättchenhemmer und NSAR), die Anwendung in besonderen Patientengruppen (z.B. bei Niereninsuffizienz), das korrekte Vorgehen bei der Umstellung von/auf andere Antikoagulanzien, bei elektiven Interventionen und Notfalleingriffen sowie die Empfehlungen zum Blutungsmanagement.
Natürlich sind mit der Zulassung eines neuen Arzneimittels noch nicht alle Fragen geklärt. Denn das Ziel von Zulassungsstudien ist es, zunächst einmal prinzipiell seine Wirksamkeit und Sicherheit zu prüfen und nicht seine Performance im klinischen Alltag. Somit ist auch die Entwicklung der NOAK noch längst nicht abgeschlossen. Aktuell wird beispielsweise Rivaroxaban in >50 Studien an >275000 Patienten weiter untersucht. Als „Glücksfall“ im Sinne der Arzneimitteltherapiesicherheit ist es anzusehen, dass die Einführung der NOAK zeitlich mit der neuen Pharmakovigilanzgesetzgebung zusammenfällt. Damit existiert für jedes NOAK ein „risk management system“, dokumentiert im „risk mananagent plan“, das den Lebenszyklus des Präparats begleitet und vielerlei Pharmakovigilanz-Maßnahmen umfasst. Hierzu gehören beispielsweise das „schwarze Dreieck“, Schulungsmaterialien – oft fälschlich als „Hochglanz-Werbebroschüren“ angesehen – und Patientenausweise, aber auch mit der EMA abgestimmte „post-authorisation safety/efficacy studies“ (PASS/PAES) und die Entwicklung von Antidots, die sich aktuell auf der Zielgeraden befindet.
Ungeachtet pharmakoökonomischer Aspekte bieten die NOAK zusammenfassend die Option für einen Paradigmenwechsel in der Antikoagulation. Diese Chance optimal zu nutzen ist aber auch eine Herausforderung.
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