Dr. Bettina Krieg, Stuttgart
Foto: Ferdinando Iannone
Die Grippe, Diabetes mellitus oder Brustkrebs – dass es sich hierbei um Krankheiten handelt, erscheint selbstverständlich. Doch warum eigentlich? Welcher körperliche Zustand zählt als Krankheit – und welcher nicht? Derzeit stellt sich diese Frage für die Adipositas, die in Deutschland fast ein Viertel aller Menschen betrifft und mit schwerwiegenden gesundheitlichen und psychosozialen Folgen verbunden ist.
An der Diskussion über die Adipositas lässt sich ablesen, dass eine spezifische und allgemein akzeptierte Definition einer Krankheit gar nicht existiert und zudem soziale und politische Aspekte die Frage, was als Krankheit aufgefasst wird, mitbestimmen [2]. Dabei sind diese Überlegungen keineswegs reine Gedankenexperimente: Eine Einstufung als Krankheit hat ganz konkrete Auswirkungen, zum Beispiel auf die Kostenerstattung bei therapeutischen Maßnahmen. Darüber hinaus geht es darum, wie adipöse Menschen von ihrem Umfeld wahrgenommen werden. Denn sie haben oftmals nicht nur mit den körperlichen Folgen ihres extremen Übergewichts zu kämpfen, sondern auch mit einer Stigmatisierung. So hat eine aktuelle Untersuchung von Forschern des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin und der Universität Mannheim ergeben, dass nach wie vor die Überzeugung vorherrscht, Übergewicht sei selbstverschuldet [3]. Wie anders wäre wohl der Umgang mit adipösen Menschen, wenn sie nicht als willensschwach und bequem, sondern als ernsthaft erkrankt angesehen würden?
Die World Obesity Federation plädiert schon seit Längerem dafür, Adipositas als Krankheit anzuerkennen. Dabei argumentiert sie aus einer epidemiologischen Perspektive: Adipositas sei eine chronische Erkrankung mit schweren Folgeschäden, ausgelöst vor allem durch hochkalorische Nahrung [1]. Hier zeigt sich die politische Dimension der Diskussion: Lebensmittel als potenziell krankmachendes Agens? Diese Definition ist ein starkes Argument dafür, besonders ungünstige Lebensmittel wie gesüßte Getränke stärker zu besteuern oder Obst und Gemüse von der Mehrwertsteuer zu befreien – Forderungen, die bereits heute im Raum stehen.
Bislang hat Portugal als einziges europäisches Land die Adipositas als Krankheit anerkannt [4]. In Deutschland existieren zwar sozialgerichtliche Urteile, in denen die Adipositas als chronische Erkrankung eingestuft wird. Allerdings fehlt bislang eine eindeutige gesundheitspolitische Entscheidung. Und so müssen Therapiemaßnahmen, inklusive chirurgischer Eingriffe, individuell beantragt werden und häufig einer Begutachtung durch den medizinischen Dienst der Krankenkassen standhalten.
Dabei sind die positiven Outcomes der Adipositaschirurgie inzwischen gut belegt. So finden sich zum Beispiel im Adipositas-Special des JAMA vom Januar 2018 mehrere Beiträge, die positive (Langzeit-)Ergebnisse chirurgischer Maßnahmen bei Endpunkten wie Blutdruck, Diabetes mellitus oder Dyslipidämie gegenüber rein konservativen Therapien belegen [5].
In dieser MMP berichtet Dr. Daniel Gärtner ab S. 98 über das komplexe Geschehen bei der Entstehung einer Adipositas und über die verschiedenen Therapieoptionen. Auch sein Beitrag macht deutlich, wie – zusätzlich – belastend es für diese Patienten ist, dass ihre Erkrankung nicht anerkannt und ihre Therapie deshalb keine Standardleistung der Krankenkassen ist.
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