Zwei Fragen gehen immer


Gerd Leidig, Köln

Psychopharmaka in der Hausarztpraxis

Patienten erkennen, verstehen und erfolgreich behandeln

Von Daniel Schüpbach und Otto Dietmaier. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2021. XX, 284 Seiten, 18 Farbabbildungen, 78 Farbtabellen. Auch als E-Book erhältlich. Kartoniert 34,80 Euro. ISBN 978-3-8047-3946-8. E-Book 34,80 Euro. ISBN 978-3-8047-4221-5.

Eine schwere Depression lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit allein durch zwei Fragen an den Patienten ausschließen. Wer in den letzten vier Wochen häufiger niedergeschlagen, traurig bedrückt oder sich hoffnungslos fühlte sowie auffällig wenig Lust und Freude an sonst geliebten Tätigkeiten hatte, bedarf zumeist dringender haus- bzw. fachärztlicher Unterstützung. Die Hausärzte sind dabei oft die erste Anlaufstelle, um dem Patienten je nach Beschwerdebild mit Psychopharmaka eine erste Hilfe zu leisten oder eine bereits bestehende Therapie auf die aktuellen Beschwerden anzupassen.

Da die Hausärzte mit zirka 1,8 Milliarden Tagesdosen (2018) an Psychopharmaka die Verordnungen der Psychiater und Neurologen mit 1,5 Milliarden deutlich übertrafen, erscheint es legitim, die hausärztliche Verschreibungspraxis durch ein neues Handbuch zu unterstützen, das neben den aktuellen Leitlinienempfehlungen der Fachgesellschaften durch die klinisch-praktischen Erfahrungen eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie (Daniel Schüpbach) und eines Fachapothekers für Klinische Pharmazie (Otto Dietmaier) eine besondere Bedeutung für den hausärztlichen Berufsalltag erlangt. Dies beinhaltet auch die speziellen Herausforderungen der psychiatrischen Notfallbehandlung.

Neben den Schizophrenien sowie den Angst- und Schlafstörungen, widmen sich die Autoren den affektiven Störungen mit den Depressionen und bipolaren Beschwerdebildern, die den Schwerpunkt bilden. In einem ersten von insgesamt 14 Fallberichten hatte eine 22-jährige Patientin mit einer bipolaren affektiven Störung eigenmächtig ihre Medikation mit Quetiapin und Lithium abgesetzt, da sie innerhalb von zwei Monaten acht Kilogramm zugenommen hatte. Aufgrund der Symptome einer dekompensierten Manie wurde sie in eine psychiatrische Klinik eingewiesen. Die psychomotorische Agitiertheit und agressive Unruhe erforderte eine pharmakotherapeutische Behandlung.

Besonders wertvoll sind die Schilderungen der psychiatrischen Beschwerdebilder aus der Sicht der Betroffenen und deren Angehörigen. Mit der Innenperspektive des Patienten erfährt der Leser von den oft quälenden Einschränkungen, die den verringerten Spielraum im Denken und Fühlen verständlich und nachvollziehbar machen. Wann immer möglich, sollten die Patienten in die Therapieentscheidung miteinbezogen werden. Die Auswahl eines Antidepressivums beispielsweise ist einerseits von dem pharmakologischen Profil von erwünschten Wirkungen und möglichst geringen Nebenwirkungen abhängig, erfordert andererseits eine individualisierte Information und Beratung, damit der Patient nicht nur compliant, sondern auch adhärent sein kann. Von großer Bedeutung ist daher, dass zwischen 30 und 50 % der Patienten, die eine anfängliche Behandlung mit einem Antidepressivum erhalten, keinen eindeutigen therapeutischen Vorteil erleben. Die psychopharmakologischen Strategien gegen eine so oft auftretende Non-Response werden durch die klinischen Aspekte und praktischen Erfahrungen besonders wertvoll.

Die Therapie-Adhärenz gerade bei depressiven Patienten ist häufig schlecht, sodass nur jeder zweite seine Medikamente wie verordnet einnimmt. Die Empfehlungen zu einer Verbesserung dieser Situation sind sehr gut begründet, nachvollziehbar und sollten die Versorgungsqualität für die Patienten verbessern. Leider bleibt hier die besondere Funktion und Beratungsleistung der öffentlichen Apotheke unerwähnt, die durch ein effektives Medikationsmanagement nachweislich zu einem besseren Therapieergebnis und damit zu einer optimierten Lebensqualität beitragen kann.

Trotz dieses kleinen Wermutstropfens aus Apothekersicht sei dieses Buch nicht nur den Hausärzten wärmstens empfohlen.

Medizinische Monatsschrift für Pharmazeuten 2021; 44(09):332-332