Bewegung in der Schmerztherapie


Heike Oberpichler-Schwenk

1. Leitlinie „Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen“ (AWMF-Reg.-Nr. 041/001). www.awmf-online.de

2. Neugebauer E.A.M., et al. Wissenschaftbetrug/Gefälschte Studien: Auswirkungen auf die S3-Leitlinie? Dtsch Arztebl 2009;106:A703.

Schmerzen sind ein sehr häufiges Phänomen, zum Beispiel als Begleiterscheinung innerer Erkrankungen, als Folge von Verletzungen oder operativen Eingriffen oder als eigenständige Erkrankung wie Migräne. Besonders anhaltenden Einfluss auf die Lebensqualität haben dabei chronische Schmerzen, die wegen der notwendigen langfristigen Behandlung auch besondere Anforderungen an die Verträglichkeit der eingesetzten Analgetika mit sich bringen. Analgetika gehören zu den Arzneimitteln, die in Apotheken buchstäblich jeden Tag abgegeben werden.

Grund genug, in einem Schwerpunktthemenheft die Mechanismen der Schmerzentstehung und -chronifizierung, neue Ansätze zur Analgesie und besondere Anwendungsprobleme der Schmerztherapie (bei multimorbiden und betagten Patienten) näher zu beleuchten. Die neuen Therapieansätze betreffen dabei einerseits die Verhinderung der Schmerzchronifizierung und andererseits die Migränetherapie, wo mehr als 15 Jahre nach Einführung des ersten „Triptans“ nun mit den CGRP-Antagonisten eine neue Wirkstoffgruppe, die in den Pathomechanismus der Migräne eingreift, vor der Tür steht.

Als wir das Schwerpunktheft bereits weitgehend vorbereitet hatten, erlangte das Thema Schmerztherapie auf eine unerwartete, unerfreuliche Weise Aktualität: Im März wurde breiter bekannt, dass Scott S. Reuben, Professor für Anästhesiologie und Schmerzmedizin aus Springfield, Massachusetts, anscheinend in großem Umfang Studien mit gefälschten Ergebnissen veröffentlicht hat. Fast alle Studien betrafen die peri- und postoperative Analgesie, vor allem nach orthopädischen Eingriffen wie Kniegelenkersatzoperation, Kreuzbandrekonstruktion oder Bandscheibenoperation. Die Liste der 21 fragwürdigen Publikationen beginnt mit einer Arbeit aus dem Jahr 1996 zur intraartikulären Gabe von Ketorolac oder Morphin nach einer arthroskopischen Meniskusoperation. Weitere Arbeiten betrafen zum Beispiel die intravenöse Regionalanästhesie mit Morphin, Lidocain oder Clonidin. Die meisten Veröffentlichungen galten aber COX-2-Hemmern und hier – nachdem die „Karriere“ der anderen COX-2-Hemmer ja nur kurz dauerte – vor allem Celecoxib. Bekannt war Reuben auch durch Veröffentlichungen zur multimodalen perioperativen Analgesie, zum Beispiel mit der Kombination Celecoxib/Pregabalin.

Seine Arbeiten waren in renommierten Zeitschriften erschienen und hatten das dort übliche Peer-Review-Verfahren durchlaufen, also die Begutachtung durch Fachkollegen. Umso betroffener reagierte die „scientific community“ auf diesen Fälschungsskandal, offenbarte er doch, dass die Kontrollmechanismen bei entsprechendem Vorsatz nur zu leicht überlistet werden können. Bis Mitte April waren 13 der 21 fragwürdigen Veröffentlichungen von den Herausgebern der betroffenen Zeitschriften zurückgezogen worden, bei weiteren kann dies noch folgen.

Die Auswirkungen auf die Standards der perioperativen Schmerztherapie sind objektiv vermutlich nicht so gravierend wie zunächst befürchtet. Die deutsche S3-Leitlinie zur Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen [1] bezieht sich auf vier der als gefälscht eingestuften Arbeiten von Reuben sowie auf drei als nicht gefälscht eingestufte [2]. Bei Elimination der Reuben-Arbeiten soll sich an den Kernaussagen nichts ändern [2]. Die Leitlinie wird zurzeit (Mitte April) aktualisiert und dann wieder online zugänglich gemacht.

Schwerer wiegt der Verlust des Vertrauens in die wirksame Selbstkontrolle eines Systems, in dem die Zahl der Publikationen Gradmesser des (auch wirtschaftlichen) Erfolgs ist.

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