Dr. Charly Gaul, Königstein
Schon zu Beginn der 1990er Jahre publizierte die Arbeitsgruppe von Peter Goadsby, dass Calcitonin gene-related Peptid (CGRP) im akuten Migräneanfall ausgeschüttet wird und die Gabe von Ergotaminen und Triptanen die CGRP-Spiegel senkt. Das Gleiche wurde später für den Clusterkopfschmerz gezeigt. Eines der Schlüsselmoleküle in der Pathophysiologie der Kopfschmerzerkrankungen war damit bekannt.
Ein Teil der spezifischen Triptanwirkung geht auf die Hemmung der CGRP-Ausschüttung zurück, deshalb ist die frühzeitige Einnahme im Anfall mit einer besseren Wirkung verknüpft. Gepante wurden dann entwickelt, um antagonistisch am CGRP-Rezeptor zu wirken. Einige wurden intensiv zur Akutbehandlung der Migräne untersucht, sie waren allenfalls so gut wirksam wie ein Triptan, aber gut verträglich, bis sich zeigte, dass die tägliche Einnahme zur Kopfschmerzprophylaxe hepatotoxisch sein kann, und die Entwicklung weitgehend aufgegeben wurde. Jetzt stehen drei Gepante, die diese Nebenwirkung nicht haben sollen, vor der Einführung und werden in Phase-III-Studien zur Akuttherapie und Prophylaxe der Migräne untersucht.
Einen anderen Wirkmechanismus haben monoklonale Antikörper, die zur Prophylaxe der Migräne untersucht werden. Eine Übersicht zu den CGRP- und CGRP-Rezeptorantagonisten finden Sie ab Seite 4 in diesem Heft. Erenumab, der erste vollhumane Antikörper gegen den CGRP-Rezeptor, wurde am 1. November 2018 in Deutschland eingeführt. Die Einführung von Galcanezumab und Fremanezumab, zweier humanisierter monoklonaler Antikörper, die sich gegen CGRP direkt richten, wird für 2019 erwartet. Eptinezumab liegt im Forschungsprogramm etwas zurück und wird nicht subkutan, sondern intravenös verabreicht. Aufgrund ihrer Halbwertszeit können die Antikörper monatlich oder alle drei Monate gegeben werden, was für die Patienten komfortabel ist und die Therapietreue erhöhen wird. Jeden Tag ein orales Prophylaktikum einzunehmen, ist immer auch eine Bewusstmachung der Erkrankung. Beeindruckend sind in allen publizierten Studien die niedrigen Abbruchraten. Außer dem Injektionsschmerz bei 5 bis 10 % der Patienten scheinen keine spezifischen Nebenwirkungen beobachtet zu werden, das ist wahrscheinlich der größte Unterschied zu Substanzen wie Topiramat, bei dem 20 % der Patienten die Einnahmen wegen Nebenwirkungen beenden. Wie bei anderen Prophylaktika auch, ist das Ansprechen aber nicht garantiert. Migränetherapie wird auch weiter idealerweise aus einem Gesamtbehandlungskonzept aus Akuttherapie und nichtmedikamentöser sowie medikamentöser Prophylaxe bestehen. Am wichtigsten ist wahrscheinlich die Psychoedukation über die Erkrankung selbst.
Bei allen hochgesteckten Erwartungen von Patienten und Behandlern: Heilen kann man die Migräne auch mit den neuen Substanzen nicht, aber wohl gut verträglich behandeln. Nicht alle Patienten sprechen an, das heißt wahrscheinlich, dass CGRP in der individuellen Migränepathophysiologie eben nicht bei jedem Patienten das Schlüsselmolekül darstellt. Leider fehlen uns Prädiktoren eines möglichen Ansprechens vollständig. Ideal wäre eine Bestimmung des CGRP als Prädiktor, das steht jedoch aufgrund der Schwierigkeiten der Analytik nicht zur Verfügung. Nicht vergessen werden darf, dass wir über seltene Nebenwirkungen und die Langzeitsicherheit der Substanzen noch nicht ausreichend viel wissen. CGRP spielt in einer ganzen Reihe physiologischer Prozesse eine wichtige Rolle – in den nächsten Jahren könnten neue Indikationen für diese Behandlung entdeckt werden, vieleicht aber auch klare Kontraindikationen. Die medikamentöse Prophylaxe mit den neuen Substanzen ist teuer. Das alleine spricht nicht gegen ihren Einsatz, denn der Leidensdruck von schwer Betroffenen ist hoch, die Migräne geht mit hoher Alltagsbeeinträchtigung und somatischer und psychischer Komorbidität einher. Nichtsdestotrotz sind alle Behandler im Solidarsystem zur wirtschaftlichen Verordnung angehalten. Bislang ist noch nicht klar, für welche Patientengruppe die Therapie von Seiten der Krankenkassen übernommen wird. Zunächst erfolgt der Einsatz bei schwer Betroffenen, die auf andere Therapien nicht angesprochen haben. Gerade diese Patienten können von der Therapie profitieren, man kann ihnen wieder Hoffnung machen.
Priv.-Doz. Dr. med. Charly Gaul, Migräne- und Kopfschmerzklinik Königstein, Ölmühlweg 31, 61462 Königstein im Taunus
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