Dr. Gerd Leidig, Köln
Cannabis
Ein Handbuch für Wissenschaft und Praxis
Von Andreas S. Ziegler (Hrsg.). Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft Stuttgart, 2022. XV, 527 Seiten, 275 Farbabbildungen, 83 Farbtabellen. Auch als E-Book erhältlich. Gebunden 108,– Euro. ISBN 978-3-8047-4152-2. E-Book (PDF-Format) 108,– Euro. ISBN 978-3-8047-4389-2.
Mit einem 2-Säulen-Modell namens „CARe“ (Club Anbau- & Regional-Modell) soll nach dem Willen der Ampelkoalition der private Konsum von Cannabis legalisiert werden. Ob hierbei zukünftig auch Apotheken als abgebende Stelle berücksichtigt werden, ist zurzeit noch völlig offen. Fragen zu den Risiken und Nebenwirkungen von Cannabis werden daher mit Sicherheit vermehrt auf die Apotheken zukommen, für die Beschaffung, Zubereitung sowie Beratung zu medizinischen und von Ärzten verordneten Cannabis-Produkten schon seit Längerem zum offiziellen Alltag gehören. Das nun von Andreas S. Ziegler herausgegebene und von 33 Experten verfasste Handbuch für Wissenschaft und Praxis ist zwar aufgrund seines Formats und Umfangs von über 500 Seiten nicht für die Kitteltasche geeignet, wird aber wahrscheinlich keine denkbare Frage unbeantwortet lassen. Als eine der ältesten Kulturpflanzen, deren Ursprünge vor über 8500 Jahren in Zentralasien liegen, wurde medizinisch verwendetes Cannabis im Abendland erstmals 50 n. Chr. vom griechischen Arzt Dioskurides in seiner zur Behandlung von Ohrenleiden erwähnt. Da im Laufe der Geschichte hauptsächlich die Samen und Fasern verwendet wurden, erkannte man erst im 19. Jahrhundert das halluzinogene Potenzial. Als Mittel gegen Starrkrampf fand Cannabis Eingang in die europäischen Arzneibücher. Durch die Entwicklung besser wirksamer Medikamente, Probleme bei der Standardisierung sowie durch wirtschaftliche und rechtliche Einschränkungen verlor Cannabis bis in die 1950er- Jahre an Bedeutung und wurde 1961 schließlich weltweit verboten. Durch die Identifizierung und Strukturaufklärung des Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) sowie die spätere Entdeckung des Endocannabinoid- Systems mit den CB1- und CB2-Rezeptoren blieb Cannabis im Zentrum des wissenschaftlichen Interesses.
Die Menge und ubiquitäre Verteilung der CB1-Rezeptoren im gesamten Organismus korrespondiert mit den regulierten Funktionsbereichen: psychische Homöostase, Schlaf, muskuläre Stimulation, Angst, Appetit Belohnung, Schmerzverarbeitung, Emesis, Blutdruck, Chronotropie. Die CB2-Rezeptoren auf den Immunzellen sind im Vergleich zu den CB1-Rezeptoren 10- bis 100-fach häufiger vertreten, sodass körpereigene Liganden hierüber die Immunantwort steuern können. Die medizinischen Indikationen, in denen Cannabis eingesetzt wird, sind ebenso vielfältig. Einsatzschwerpunkte liegen in der Schmerztherapie, neurologischen und gastroenterologischen Beschwerden sowie der Behandlung von Emesis, Appetitmangel und Immunerkrankungen. Bei der Linderung chronischer, bereits mit Opioiden vorbehandelter Schmerzen kommen Cannabis-Extrakte mit einem hohen CBD-Gehalt zum Einsatz. Ganz allgemein gilt für die Dosierung: Start low, go slow, keep low!
Die Applikationsarten für Cannabis sind sowohl für die medizinische Verwendung als auch für den privaten Eigenbedarf außerordentlich vielfältig. Während das sogenannte „Eimerrauchen“ oder die „Wasserpfeife“ volkstümlich tradierte Anwendungen repräsentieren, ist das „Vaping“, also die inhalative Aufnahme durch Vaporisatoren, gegenüber den gängigen, medizinischen Alternativen überlegen. Die rechtlichen Vorgaben und Regularien des BtM-Gesetzes im Zusammenhang mit der Beschaffung, Lagerung und Abgabe von Cannabis-Produkten und die daraus resultierenden Dokumentationspflichten werden umfassend dargestellt. Dies schließt auch die Thematik der Rezeptur von Cannabis-Zubereitungen bis zu deren vorschriftsmäßiger Taxation ein. Dieses Handbuch ist nach seinem Umfang und seiner wissenschaftlichen Expertise geeignet, ein Klassiker für alle zu werden, die in Wissenschaft und praktischer Pharmazie eine erschöpfende Auskunft auf alle zurzeit denkbaren Fragen suchen.
Medizinische Monatsschrift für Pharmazeuten 2023; 46(06):200-200