Dr. Tanja Saußele, Stuttgart
Im weltberühmten Kinderbuchklassiker „Alice im Wunderland“ erlebt ein kleines Mädchen kuriose Geschichten, nachdem sie im Bau eines weißen Kaninchens verschwunden ist. In dieser Wunderwelt verändert sie häufig ihre Größe: von ganz klein geschrumpft bis riesig groß. Vermutet wird, dass der britische Autor Lewis Carroll diese sehr skurrilen Abenteuer von Alice auf Grundlage einer eigenen Wahrnehmungsstörung erfunden hat.
1955 definierte der englische Psychiater John Todd schließlich den Begriff des Alice-im-Wunderland-Syndroms. Es beschreibt eine Fehlwahrnehmung, bei der die Betroffenen beispielsweise die eigene Größe oder die von Objekten als winzig klein (Mikropsie) oder riesengroß (Makropsie) wahrnehmen. Auch können Dinge weiter entfernt (Teleopsie) oder näher (Pelopsie) erscheinen. Manchmal kommen akustische Halluzinationen hinzu oder das Temperaturempfinden kann verändert sein.
Zunächst deuten diese Symptome auf einen Drogenkonsum hin. Aber auch Erkrankungen wie Hirninfektionen, Epilepsien oder Migräne können das Alice-im-Wunderland-Syndrom begünstigen.
Wie häufig das Alice-im-Wunderland-Syndrom beispielsweise bei einer Migräne mit und ohne Aura auftritt, hat ein Team von der Charité Berlin nun genauer analysiert. Dazu füllten 808 Personen (mittleres Alter 44 Jahre, 87 % weiblich) eines Berliner Kopfschmerzzentrums einen standardisierten Fragebogen aus, in dem unter anderem verschiedene Migränecharakteristika, darunter auch spezielle Symptome des Alice-im-Wunderland-Syndroms, abgefragt wurden.
Von den befragten Migränepatienten berichteten 16,5 % vom Auftreten des Alice-im-Wunderland-Syndroms im Laufe ihres Lebens. Am häufigsten wurden bei den visuellen Halluzinationen Gegenstände verändert wahrgenommen. Objekte erschienen bei fast 75 % dieser Migränepatienten winzig klein oder weiter weg. Aber auch eine vergrößerte Wahrnehmung oder das scheinbare Schrumpfen eigener Körperteile (Makro- und/oder Mikrosomatognosie) oder der Eindruck, dass Objekte größer oder näher (Makro- und/oder Pelopsie) erscheinen, trat bei fast 50 bzw. 40 % der Migränepatienten mit Alice-im-Wunderland-Syndrom auf. Die mittlere Dauer der Wahrnehmungsstörungen betrug in etwa eine halbe Stunde.
Bei Migränepatienten mit Aura trat das Alice-im-Wunderland-Syndrom signifikant häufiger auf und bei den meisten Betroffenen bereits vor dem Erwachsenenalter.
Vermutet wird ein ähnlicher Pathomechanismus wie bei einer Aura, da auch die Dauer sehr ähnlich ist. Diskutiert werden zum Beispiel Veränderungen der funktionellen Vernetzungen im visuellen Cortex und in der Verbindung zwischen Temporal-, Parietal- und Okzipitallappen, wo visuelle und somatosensorische Informationen verarbeitet werden.
Beim Alice-im-Wunderland-Syndrom kann auch der eigene Körper verändert wahrgenommen werden. Foto: Andrey/stock.adobe.com
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