Schöne neue Welt?
Aktuelles zur Psychopharmakotherapie
Trotz hohem Bedarf angesichts der Häufigkeit psychischer Krankheiten und vieler therapeutischer „unmet needs“ wurden in den letzten Jahren nur wenige neue Psychopharmaka eingeführt. An der Hürde des in Deutschland zu belegenden „Zusatznutzens“ scheiterten Lurasidon und jüngst Vortioxetin, für das der Hersteller angesichts eines angebotenen Tagestherapiepreises von 9 Cent keine Re-Finanzierungschance sah. Zu den neuen Substanzen zählt der selektive Opioid-Modulator Nalmefen zur Reduktion des Alkoholkonsums, der als wirksam und kosteneffektiv bewertet wird. Das neue multimodal wirkende Antidepressivum Vortioxetin, das günstige Effekte auf kognitive Funktionen zeigte, ist in Deutschland jetzt nicht mehr im Handel, wird aber in neuen Indikationen weiter beforscht. Das ältere selektiv noradrenerg-serotonerg wirkende Antidepressivum Milnacipran wurde jüngst in Deutschland eingeführt, ebenso der selektive Alpha2-Rezeptoragonist Guanfacin zur Behandlung von ADHS bei Kindern und Jugendlichen. Zur Therapie der Adipositas wurde der Glucagon-like-Peptid-1-Rezeptoragonist Liraglutid zugelassen. Im Ausland (USA) neu verfügbar sind die atypischen Antipsychotika Cariprazin und das Aripiprazol-verwandte Brexpiprazol. Wichtige Weiterentwicklungen fanden sich angesichts der großen Adhärenzproblematik der medikamentösen Schizophrenie-Langzeittherapie im Bereich der Depot-Antipsychotika: Paliperidon liegt nun als 3-Monats-Depot vor, Aripiprazol als monatliches Depot. Eine innovative neue Darreichungsform ist das erste inhalative Antipsychotikum Loxapin zur schnellen Kontrolle von Agitiertheit bei Erwachsenen mit Schizophrenie oder Manie. Ketamin und Botulinumtoxin werden bei Depressionen als neue Indikationen in klinischen Versuchen eingesetzt. Als Augmentations-/Add-on-Therapie bei sogenannten therapieresistenten Depressionen werden nun atypische Antipsychotika wie Quetiapin empfohlen. Eine innovative Substanz ist der in Phase-III-Studien befindliche Glycin-Inhibitor Bitopertin, zu neuen (Depressions-)Therapieansätzen im Experimentalstadium zählen Celecoxib, Pioglitazon, Minocyclin, CRH- und Glutamat/NMDA-Rezeptor-Antagonisten, Nicotin-Rezeptor-Modulatoren und Darm-Mikrobiota („Psychobiotica“). Die Entwicklung von Psychopharmaka ist hoch aufwendig, Studien sind langwierige, riskante Investitionen, der mediale Negativ-Tenor ein weiteres Problem. Konstruktive Lösungsansätze sind dringend gefragt, um einen Stillstand in der Psychopharmaka-Weiterentwicklung zu verhindern.
English abstract
Update Psychopharmacotherapy
Despite unmet meeds regarding efficacy, tolerability and time of onset and the high importance of mental disorders very few new psychotropics have been introduced in Germany recently. Lurasidon and the new multimodal antidepressant vortioxetine demonstrating clinical efficacy in the improvement of cognition have been withdrawn from the German market due to economic reasons based on an official committee judgement „missing additional benefit“. Among new substances introduced are the selective opioid modulator nalmefene for reduction of alcohol consumption, the selective alpha-2-receptor agonist guanfacine for ADHS treatment in child and youth psychiatry, the older antidepressant milnacipran and the glucagon-like-peptide-1-receptor agonist liraglutide for treatment of adipositas. In the USA the atypical antipsychotics cariprazine and brexpiprazole have been released. The introduction of the long acting depot antipsychotics aripiprazole (1 month) and paliperidone (3 months) can be seen as major progress in the treatment of schizophrenia. Loxapine is available as inhalative antipsychotic for rapid treatment of agitation in schizophrenia and mania. Atypical antipsychotics like quetiapine are recommended now as add-on treatment for therapy-resistant depressions. Ketamine and botulinum toxin are in experimental use as antidepressants. The development of psychotropics is long lasting and costly and made even more difficult by negative medial attitudes additionally. Constructive resolving attempts are needed urgently to avoid a standstill in the development of psychotropic drugs.
Key words: Nalmefene, vortioxetine, milnacipran, paliperidon-3M, loxapine
CRISPR-Cas
Eine neue Ära in der Mokekularbiologie
Das bakterielle CRISPR-Cas-System ist ein adaptives, erbliches Immunsystem zur Bekämpfung invasiver genetischer Elemente wie Viren und Plasmide. In den letzten Jahren wurde es zu einem mächtigen und universellen Werkzeug für die sequenzspezifische Veränderung des Genoms (Genome Editing) weiter entwickelt. Mithilfe der RNA-programmierbaren molekularen Schere Cas9 sollen in Zukunft Gendefekte korrigiert und chronische Krankheiten wie eine HIV-Infektion oder bestimmte virusinduzierte Krebsarten geheilt werden. Darüber hinaus können katalytisch inaktive und mit Effektorproteinen fusionierte Cas9-Varianten Genomabschnitte markieren, die Genexpression regulieren oder epigenetische Modifikationen durchführen.
English abstract
The adaptive bacterial immune system CRISPR-Cas and its therapeutic potential
The bacterial CRISPR-Cas-system is an adaptive and inheritable immune system for the defense against invasive genetic elements such as viral DNA or plasmids. CRISPR-Cas immunity acts by integrating short sequences of non-self DNA in the cell’s CRISPR locus which allows the cell to recognize, to remember and to destroy the invasive element. In the last years the type-II-system CRISPR-Cas9 was developed as a powerful and universal tool for the sequence-specific modification of the genome also known as genome editing. Type-II-systems rely solely on one single protein, Cas9, and a non-coding, trans-activating RNA that leads the Cas9 protein to its target DNA. The RNA-guided molecular scissor Cas9 is predestinated to correct mutated genes in line with a gene therapy and to heal chronic diseases like HIV infections or virus-induced forms of cancer via deleting viral DNA that is integrated as a provirus in the host’s genome. In addition, catalytically inactive Cas9 variants (dCas9) fused to effector domains can be used to specifically tag genome sections, regulate gene expression and modify epigenetic markers.
ACE-Hemmer und Spironolacton: Bei Herzinsuffizienz indiziert
ACE-Hemmer und Spironolacton: Bei Herzinsuffizienz indiziert
Ein Patient mit Herzinsuffizienz erhält in der Dauermedikation unter anderen die Arzneimittel Enalapril und Spironolacton. Bei der Überprüfung auf mögliche Wechselwirkungen weist das CAVE-Modul der ABDA-Datenbank darauf hin, dass die gleichzeitige Anwendung eines ACE-Hemmers und Kalium-retinierender Diuretika nicht empfohlen wird. Liegt ein arzneimittelbezogenes Problem vor?
English abstract
Combined use of an ACE-inhibitor and spironolactone in patients with heart insufficiency
A patient with cardiac insufficiency takes the ACE-Inhibitor Enalapril as well as Spironolactone regularly. In the interaction monographs of the German ABDA-database there is a note that combined use of these substances should be avoided due to an increased risk of hyperkalemia – is there a medication related problem?
There is evidence from clinical studies, that combined use of ACE-inhibitors and potassium-sparing agents indeed increases the risk of severe hyperkalemia. The risk seems to be related to the dose of the potassium-sparing agent. However, in patients with cardiac insufficiency NYHA-class II-IV and an ejection fraction of ≤ 35%, the addition of spironolactone to an ACE-inhibitor and betablocking agent reduces mortality and hospitalization for cardiovascular problems. Therefore the combination is indicated in these patients. To minimize the risk for severe adverse events close monitoring of serum potassium and renal function is mandatory. Moreover, additional risk factors for hyperkalemia such as intake of potassium supplements or NSAID should be avoided.
Zusammen arbeiten oder zusammenarbeiten?
Zusammen arbeiten oder zusammenarbeiten?
Wie gelingt Interprofessionalität in der Geriatrie und Palliativmedizin?
Interprofessionelle Zusammenarbeit spielt bei der Betreuung älterer und lebensbegrenzend erkrankter Patienten eine besondere Rolle. Um der individuellen Situation und den besonderen Bedürfnissen dieser Patienten gerecht zu werden, ist das Zusammenspiel verschiedener Berufsgruppen unentbehrlich. Kommunikation und funktionierende Netzwerke sind die Voraussetzung dafür, dass alle Beteiligten ihre speziellen Kompetenzen für dieses gemeinsame Ziel einbringen können.
Kardiovaskuläre Sicherheitsstudie LEADER
Antidiabetikum Liraglutid bessert kardiovaskuläres Outcome
Die Studie „Liraglutide and cardiovascular outcomes in type 2 diabetes“ (LEADER) wurde auf dem Kongress der American Diabetes Association (ADA) im Juni 2016 präsentiert und zeitgleich im New England Journal of Medicine veröffentlicht. Sie hat gezeigt, dass der GLP-1-Rezeptoragonist Liraglutid nicht nur unbedenklich, sondern vorteilhaft ist, was die kardiovaskuläre Sicherheit angeht: Der primäre Endpunkt aus kardiovaskulärem Tod, nichtfatalem Myokardinfarkt und nichtfatalem Schlaganfall wurde unter Liraglutid signifikant um 13% reduziert.
Postoperativer Opioid-Gebrauch
Wie hoch ist das Risiko für eine chronische Einnahme?
Einer retrospektiven Studie zufolge erhöhen einige chirurgische Eingriffe das Risiko für einen späteren chronischen Opioid-Gebrauch. Dieses Risiko hängt von der Art der Operation und individuellen Patientenmerkmalen ab.
Alpha-1-Proteinase-Inhibitor-Mangel
Bei Dyspnoe und Husten auch an einen Alpha-1-Antitrypsin-Mangel denken
Belastungsdyspnoe und Husten können erste Anzeichen für einen Alpha-1-Proteinase-Inhibitor(A1-PI)-Mangel sein, eine genetisch bedingte Erkrankung, die schon frühzeitig zu einem Lungenemphysem führt. Durch eine Substitutionstherapie mit hochgereinigtem humanem A1-PI ist es möglich, die Progression des Emphysems zu verzögern. Bereits verlorengegangenes Lungengewebe kann jedoch nicht wiederhergestellt werden. Umso wichtiger ist daher ein früher Therapiebeginn, was wiederum eine sorgfältige Diagnose voraussetzt.
Multiple Sklerose
B-Zellantwort als Indikator für die Wirkstoffwahl
Bislang gibt es keine Biomarker, die bei Patienten mit multipler Sklerose (MS) das Ansprechen auf bestimmte Wirkstoffe vorhersagen. Ein Test, der in einer Blutprobe die Bildung autoreaktiver Antikörper nach Stimulation mit Glatirameracetat misst, könnte dies nun ändern.
Nichtsteroidale Antirheumatika
Einfluss von NSAR auf das Herzinfarkt-Risiko
In einer eingebetteten Fall-Kontroll-Studie wurde mithilfe von fünf Datenbanken aus vier europäischen Ländern (Deutschland, Großbritannien, Italien und die Niederlande) das Risiko eines Herzinfarkts unter Einnahme von NSAR in Abhängigkeit vom Zeitraum der Einnahme untersucht. In der Studie konnte ein 20%iger Anstieg des Risikos für eine Krankenhausaufnahme für Herzinfarkt unter aktueller NSAR-Einnahme evaluiert werden. Das Risiko war abhängig von dem jeweiligen NSAR und der Dosierung.
Empfehlungen der Paul-Ehrlich-Gesellschaft
Multiresistente Enterobacteriaceen und Acinetobacter baumannii – sind wir mit unserem Latein am End…
Bei mehrfach resistenten Acinetobacter baumannii ist das etablierte antibiotische Arsenal in vielerlei Hinsicht unbefriedigend und eine Monotherapie ist in der Regel einer Kombinationsbehandlung vorzuziehen. Dagegen erscheint die Antibiotikapalette bei multiresistenten Enterobacteriaceen, allen voran Klebsiella pneumoniae, zwar breiter, jedoch nicht einheitlich wirkungsvoll und die gleichzeitige Verabreichung von zwei oder drei Antibiotika bewirkt hier normalerweise höhere Therapieerfolge. Je nach Erreger und Resistenzgrad bleiben die Behandlungsoptionen insgesamt jedoch mager bzw. sie verringern sich weiter. Neue Substanzen werden also dringlich benötigt.